Das Wander-Du

Manuel Andrack, Klartext
Auch auf Wanderungen gibt es Umgangsformen, eine Art Wander-Knigge. Man sollte pfleglich mit der Natur umgehen – auf den Wanderwegen bleiben, keinen Müll im Wald hinterlassen, möglichst keinen Waldbrand entfachen. Eigentlich Selbstverständlichkeiten. Allerdings gibt es auch einen Wander-Knigge, was das menschliche Miteinander angeht. Es ist schön, wenn man entgegen kommende Wanderer auf dem Wanderweg mit einem fröhlichen “Guten Tag/Hallo/Grüß Gott” bedenkt. In einer größeren Wandergruppe sollten die starken Wanderer auf die schwachen Wanderer Rücksicht nehmen, auch wenn das bedeutet, dass man immer wieder längere Wartepausen einlegen muss, damit die Nachhut wieder Anschluß findet.

Bleibt die Frage nach dem berühmten Wander-Du. Duzen sich einfach alle Wanderer, oder ist das eine unhöfliche Grenzüberschreitung? Macht es das Wandern angenehmer, oder ist die Duzerei einfach nur nervig? Schauen wir uns doch einfach mal die Argumente für oder gegen das Duzen in einer Wandergruppe an. Was gegen das Wander-Du spricht: Das „Du“ kann sehr übergriffig sein. Wer hat beispielsweise dem großen schwedischen Möbelhaus erlaubt, mich zu duzen? Ich möchte der Radiowerbung „Lebst Du schon, oder wohnst Du noch?“ gerne entgegen schreien: „Für Dich, liebes IKEA, bin ich immer noch Sie!“ Außerdem kommt man sich – wenn das Duzen der Normalfall ist – immer vor, als wäre man auf dem XI. Parteitag der SED und Genosse Erich erzählt von früher. Interessanterweise hat die SPD zweimal in ihrer Partei-Geschichte versucht, das zwanghafte Genossen-Du zu verbieten, ist aber gescheitert. Es ist eben eine SP-DU! Was auch gegen das Duzen unter Wanderern spricht: So richtig kann man letztendlich das Verhältnis zwischen wildfremden Menschen nicht klären. Ist man zum Beispiel nach der Wanderung wieder beim Sie und der Egon ist wieder der Herr Fuchs? Und ganz schlimm sind ja die Du/Sie Mischformen. Es gibt das berühmte Kassiererin-Du: “Frau Müller, kannst Du mal gucken, was die Kondome kosten?” Andererseits gibt es aber auch das Hamburg-Sie, unter Lehrern von Abiturienten sehr beliebt: “Jessica, Ihre Leistungen sind einfach sehr mangelhaft.” Es bleibt auch immer die Frage, ob es sinnvoll ist, den Chef zu duzen. Angela Merkel lässt das „Du“ in ihrem Kabinett nur in Ausnahmefällen zu, wenn der Chef des Schwarz-Konzerns (Lidl, Kaufland) allen seinen 375.000 Mitarbeitern das „Du“ anbietet, ist das tendenziell eher anbiedernd. Denn Chef bleibt er trotzdem. Beim Wandern ist der Wanderführer der Chef, das „Sie“ hilft, eine gewisse Distanz zu wahren: „Herr Seyfarth, warum habe wir uns denn schon wieder verlaufen, sind Sie die Tour etwa nicht vorgewandert?“ Das ist schicklicher als einfach zu sagen: “Horst, da hast Du mal wieder Mist gebaut.”

Urpsünglich kommt ja das Wander-Du vom Bergwandern. Eine alte Benimm-Regel besagt: Über 1.000 Höhenmeter wird geduzt. Dumm nur, wenn wir eine Berg-Talwanderung machen, und ständig zwischen 800 und 1.200 Höhenmetern wechseln. Wird dann auch alle halbe Stunde das „Du“ mit dem „Sie“ vertauscht? Nein, das ist natürlich Quatsch. Der Sinn der 1.000 Meter-Regel ist doch: Wenn zwischen uns und dem Himmel nichts ist, können wir auf steife Umgangsformen verzichten. Das ist aber auch auf das Mittelgebirge und Wanderungen unter 1.000 Metern zu übertragen. Wenn wir uns gemeinsam auf Wanderschaft begeben, über Stock und Stein gehen, uns über den Bachlauf mit den glitschigen Steinen helfen, wenn wir bei Blitz und Donner eng gedrängt gemeinsam Schutz suchen, wenn wir uns an steilen Wegpassagen die Hand reichen – dann wäre ein „Sie“ fehl am Platze, dann passt nur ein „Du“! Und sitzt man schließlich beim Belohnungsgetränk in der Wanderhütte, wäre es sehr merkwürdig, ein “Sie” aufrecht zu erhalten. Wenn man bei Bier oder Wein Brüderschaft trinkt, kann man sich auch schon zum Anfang der Wanderung das “Du” anbieten. Fazit: Der Wander-Knigge ist in der Frage Wander-Du nicht eindeutig. Ich wünsche Dir, Euch und Ihnen auf jeden Fall demnächst eine gelungene Wanderung.
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